Millionen-Kampagne von Wirtschaft, Allparteienkoalition und Sportgroßverbänden hat nicht gewirkt
Die Gegner/innen einer Bewerbung für die Olympischen Spiele 2024 haben sich durchgesetzt. Fast 52% der Wählerinnen und Wähler sprachen sich dagegen aus, obwohl die Bürgerschaftsmehrheit aus SPD, CDU, Grüne und FDP, Wirtschaftslobby und Sportgroßverbände wie DOSB und HSB keine Kosten und Mühen scheuten, um dieses 16-tägiges Spektakel in die Hansestadt zu holen. Die Befürworter/innen haben Millionen von Euro für eine Werbekampagne gehabt, aber die Menschen nicht mitnehmen können. Die aufgeblasene Werbung und die einseitigen Emotionen konnten gegen die Macht der Argumente nicht ankommen.
Mit teilweise obskuren Methoden haben die Profiteure einer möglichen Ausrichtung bis kurz vor der Abstimmung versucht, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Fackel-Läufe, Lichtshows und private Wahlurnen in Einkaufszentren haben ihre Wirkung verfehlt.
Erfreulich ist vor allem, dass die Gegner/innen sich durchgesetzt haben, obwohl ein massives Ungleichgewicht vor allem im Bezug auf die finanzielle Ausstattung und die mediale Werbung vorhanden war: Während das Pro-Olympia-Kartell mehrere Millionen Euro insbesondere für PR-Kampagnen nutzen konnte, hatten die Olympia-Gegner/innen kein nennenswertes Budget. Gleichzeitig hatten die Befürworter einer Bewerbung die regionale Presse hinter sich, die mit einseitiger Berichterstattung und fehlender journalistischer Distanz auf die Seite der Pro-Olympioniken geschlagen hatte. Beispielhaft sei die BILD-Sonderausgabe genannt, die in riesiger Auflage kostenlos an alle Haushalte ging und sich kritiklos der Olympia-Propaganda anschloss.
Niederlage des Senates, Wirtschaftslobby, DOSB und der Medien
Statt aber nun die Niederlage einzuräumen, meinen die Vertreter der Olympiabewerbung externe Faktoren für die Ablehnung ausgemacht zu haben. Nikolas Hill, Geschäftsführer der Bewerbungsgesellschaft beispielsweise meinte, äußere Begleitumstände seien verantwortlich dafür, nicht das Konzept. Es mag sein, dass Paris, FIFA-und Leichtathletik-Skandale mit dazu beigetragen haben. Viel eher aber haben die Bürger/innen und Bürger verstanden, was sich hinter dem Projekt „Olympia 2024“ verbirgt, nämlich Gentrifizierung, Verdrängung und Steuerverschwendung. Zu offensichtlich war die Kritik der gesellschaftlichen Verbände wie BUND, des Zukunftsrates, des Rechnungshofes und der Wissenschaft, deren Meinung man geflissentlich ignoriert bzw. Veröffentlichungen unter den Tisch gekehrt hat. Auch hat die Mehrheit der Abstimmenden der Reformlüge des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nicht geglaubt, dessen Ausrichterstadtvertrag -zwar sprachlich abgemildert- in wesentlichen Teilen wie z.B. wie der gesamtschuldnerischen Haftung, Steuerbefreiung für das IOC und seine Sponsoren und Eingriffe in das Versammlungsrecht früheren Knebelverträgen glich. Der Finanzreport mit seinen vielen Milliarden für ein kurzlebiges Spektakel und die fehlende Zusage des Bundes setzte dem die Krone auf. Zudem ist die Stadt mit anderen Herausforderungen wie z.B. der Flüchtlingsunterbringung, fehlenden Sozialwohnungen und maroden Sportstätten beschäftigt.
Zweite Niederlage für Scholz
Für Rot-Grün und damit für Olaf Scholz ist es die zweite Niederlage nach dem Entscheid über den Rückkauf der Energienetze. Es wird deutlich, dass dieser Senat kein überzeugendes Konzept einer Stadtentwicklung hat, die dem Großteil der Bevölkerung nützt. Stattdessen hat der Senat seine gesamten Pläne -ob bei Wohnungsbau, Stadtteilentwicklung, Sportstättensanierung usw.- unnötig mit Olympia in Verbindung gebracht, als wäre eine eigenständige Entwicklung ohne dieses Massenevent nicht möglich. Jetzt stellt sich die Frage, wie dieser Senat ohne Olympia in den genannten Feldern handlungsfähig sein kann. Der Forderung, die für Olympia eingeplante jährliche Investitionssumme ab 2017 in Höhe von 200 Millionen in den Ausbau der sozialen Infrastruktur wie der Sportstättensanierung, dem sozialen Wohnungsbau, der Inklusion oder die Kinder- Jugend und Bildungsarbeit zu stecken, muss hohe Priorität eingeräumt werden. Dieses Geld kann und muss zusätzlich durch den Senat investiert werden, auch ohne Olympia.
Statt aber notwendige Investitionen in diese Bereiche zu tätigen, hangelt man sich von einem neoliberalen Event zum nächsten, deren Funktion darin besteht, innerstädtische Quartiere aufzuwerten und für Privatinvestoren sowie internationalen Spekulanten attraktiver zu gestalten. Dort, wo früher die öffentliche Daseinsfürsorge im Mittelpunkt stand, sei es beim sozialen Wohnungbau oder öffentlichen Sportflächen, sind riesige Bürotürme und überdimensionierte Sportarenen gerückt. Die Stadt zieht sich zugunsten privater Kapitaleigner zurück und überlässt den öffentlichen Raum Stück für Stück sich selbst. Nicht umsonst war man bereit, einen Teil der Grundstücke am Hafen zu verkaufen, um Olympia auszurichten.
Als Scholz nach dem verlorenen Referendum ans Mikrofon trat, machte er darauf aufmerksam, dass die Maxime der Aufwertung und Verdrängung nach wie vor oberste Priorität hat. Statt einem Katalysator Olympia treten neue und alte Konzepte hervor. „Sprung über die Elbe“ oder „Stromaufwärts an Elbe und Bille“ werden die letzten noch verbliebenen Arbeiterviertel in einer Weise verändern, wie wir es aus Städten wie London oder Paris kennen: Niedrige und mittlere Einkommensbezieher/innen werden weiter an den Rand bzw. aus der Stadt gedrängt, um zahlungskräftigere Bewohner/innen und Firmen anzusiedeln.
Nach dem verlorenen Referendum rufen erste SPD-Politiker (wie HSB-Präsident Mantell) schon danach, die direkte Demokratie wieder einzuschränken. Diese Forderungen zeigen, wie sehr sich die herrschende Politik von den Bürgerinnen und Bürgern entfremdet hat. Eins ist sicher: Das nächste Event steht vor der Tür.
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