Der heute u.a. von Staatsrat Pörksen vorgestellte Bericht über die Aktenprüfungen bei Pflegeeltern hat nichts Wesentliches zur Verbesserung der Situation ergeben. Vielmehr wurde klar, dass der Senat an seiner starren Haltung im Bezug auf das Jugendhilfesystem in Hamburg festhält. „Auch eine Überprüfung der Akten hätte nichts am Tod von Chantal geändert“, so Mehmet Yildiz, kinder-, jugend- und familienpolitischer Sprecher der Linksfraktion. „Es gibt strukturelle Defizite in der Jugendhilfe, die aber für den Senat keine Rolle spielen. Vielmehr wird öffentlichkeitswirksam versucht, die Probleme aus Kostengründen auf die einzelnen Pflegefamilien abzuwälzen.“
Jugendhilfesystem in Hamburg: Privatisierung, Überlastung und fehlende Unterstützung
„Der Fall Chantal hat deutlich gemacht, dass vor dem Hintergrund des bestehenden Jugendhilfesystems auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann, dass weitere Kinder zu Schaden kommen.“, so Yildiz. „Das gesamte Jugendhilfesystem muss gründlich unter die Lupe genommen werden. Gerade der Grundsatz, dass die Privatisierung der Jugendhilfe zum gewünschten Erfolg geführt hat, muss in Frage gestellt werden.“
Durch die Privatisierung der Jugendhilfe in den letzten Jahren ist ein riesiger Markt an privaten Anbietern entstanden. Unter dem hohen Konkurrenzdruck sinkt die Qualität der Betreuung, wie die Todesfälle der letzten Jahre gezeigt haben. „Das private Trägersystem verleitet dazu, Leistungen nach dem ökonomischen Gewinn zu vergeben, statt individuell passende und abgestimmte Maßnahmen zu gewähren.“
Gleichzeitig ist die Situation des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) von Überlastung gekennzeichnet. Hohe Mitarbeiterfluktuation, unbesetzte Vollzeitstellen, hoher Krankheitsstand und unhaltbare Arbeitsbedingungen erschweren die Arbeit. Ausdruck sind die Überlastungsanzeigen der letzten Jahre in den Dienststellen. „Auch die Standardisierung der Arbeit durch JUS-IT degradiert die Mitarbeiter zu ‚Fallmanagern’, statt zu Betreuern. Die eigentliche städtische Verantwortung wird in der Folge auf private und gewinnorientierte Träger abgegeben.“, stellt Yildiz fest.
Auch die vielen Schnittstellen im System haben zur Häufung von Fehlern beigetragen. Die Übergabe von Fällen zwischen Behörde und Trägern lief in vielen Fällen nicht reibungslos ab. Mangelnde Zweitbegutachtung und das Nichtbeachten individuell veränderter Familienverhältnisse sind noch die offensichtlichsten Ausdrücke dieser Fehlentwicklung. „Im Idealfall käme die Hilfe aus einer Hand.“
Yildiz kritisiert zudem die Situation der Pflegefamilien. „Pflegefamilien werden zu wenig unterstützt. Es wird zwar eine Aufwandsentschädigung gezahlt, diese deckt aber keine Ersatzleistungen und Ansprüche wie Renten- und Krankenversicherung ab. Auch gibt es keine Mittel für Fortbildung und kein Ersatz für Krankheit und Urlaub.“ Zudem macht Yildiz drauf aufmerksam, dass mindestens ein Elternteil nicht erwerbstätig sein darf, um überhaupt ein Pflegekind zu bekommen. „Dies fördert langfristig erst prekäre Familienverhältnisse, wie es im Fall Chantal war.“
DIE LINKE sieht die Ursachen der aktuellen Problemlage in den Sozialkürzungen der letzten Jahrzehnte. „Prekäre Arbeitsverhältnisse, Hartz IV und dadurch bedingte Armut zeigen spürbar Wirkungen in den Familien. Dieser Trend muss unbedingt aufgehalten werden.“ Die Folgen sind heute in Form steigender Hilfebedürftigkeit für Kinder und Jugendliche bekannt.
Weitere Kürzungen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
Vor dem Hintergrund der bekannt gewordenen Kürzungen in der Offenen Kinder- und Jugendhilfe fordert Yildiz ein Umdenken. „Der SPD-Senat tut, was wir bereits im Herbst letzten Jahres befürchtet haben: Eine Kürzungsorgie in dem Bereich, der eine Stütze für das Jugendhilfesystem sein könnte.“ Die Sozialbehörde hatte angekündigt, die Rahmenzuweisungen an die Bezirke um 10 Prozent zu kürzen. Begründet wurde dieser Schritt mit der Einhaltung der Schuldenbremse. „Das zeigt, dass die von allen Parteien mit Ausnahme der LINKEN geforderte Schuldenbremse zu weiteren Kürzungen im Sozial- und Jugendhilfesystem führen wird. Die Pläne des Senates, mit SHA-Projekten gegenzusteuern ist eine reine Fehlkalkulation zugunsten des selbsterlegten Sparzwanges auf Kosten der Kinder, Jugendlichen und Beschäftigten.“
Enquete-Kommission notwendig
Yildiz fordert eine detaillierte Analyse des gesamten Jugendhilfesystems. „Ursachen und Fehler des gesamten Hilfesystems müssen unter die Lupe genommen werden. Untersuchungsausschüsse und kleine Korrekturmaßnahmen haben keine Misshandlungs- und Todesfälle verhindert. Daher plädieren wir für eine Enquete-Kommission, die die strukturellen Gesamtdefizite analysiert und Vorschläge zur Verbesserung erarbeitet. Dabei darf es keine Denkverbote im Zusammenhang mit den Kosten geben. Kein einziges Kinderleben darf aus Kostengründen gefährdet werden.“