Senatspläne zur Jugendhilfe: Qualitätsmanagement ohne Sinn und Verstand

  • von Mehmet Yildiz, Ronald Prieß, Peter Meyer

S. Hofschläger / pixelio.de

Der Sonderausschuss Chantal hat seine letzte Sitzung am 15. Januar 2013 nach kurzer Beratung abgebrochen, weil er erneut unvorbereitet mit einem Planungsschritt des Senats konfrontiert werden sollte, ohne vorher wenigstens ansatzweise in die vom Senat erwogenen Überlegungen zu einem „Qualitätsmanagement“ mit einbezogen worden zu sein. Die jetzt vorliegenden Informationen zu einem „Qualitätsmanagement“ (1), wie es der Senat erwägt, rechtfertigen aus Sicht der Fraktion DIE LINKE auch weiterhin eine Absetzung des Themas von der Tagesordnung des Sonderausschusses Chantal.

DIE LINKE ist mit dem vorgelegten Papier zum „Qualitätsmanagement“ nicht zufrieden. Wir weisen die vorgefundene Stichpunktesammlung als oberflächlich und stümperhaft zurück.

Wir fragen uns: Was ist das für ein „Qualitätsmanagement“,

  • das kein Wort zum Personal verliert? Die Zufriedenheit des Personals müsste doch eigentlich das oberste Anliegen der Stadt Hamburg sein und die Auswertung der Situation des Personals sollte Ausgangspunkt zu Überlegungen zu einem „Qualitätsmanagement“ sein. Die Fraktion DIE LINKE schlägt aus diesem Grunde vor, erst einmal die vorliegenden Ergebnisse des Sonderausschusses auszuwerten, zu bewerten und in diesem Zusammenhang endlich die Beschäftigten der Jugendämter anzuhören.
  • in dem es von betriebswirtschaftlichen Begrifflichkeiten nur so wimmelt? In dieser Form über „Qualitätsmanagement“ zu sprechen zeigt, dass der Senat nicht ernsthaft bereit ist oder nicht verstanden hat, was mit dem Thema Ökonomisierung der sozialen Arbeit verbunden wird und welche Problematiken sich aus der bisherigen Entwicklung in diese Richtung für die Jugendhilfe ergeben haben. Hier wird in einem Entwurf für ein „Qualitätsmanagement“ schon mit Ergebnissen hantiert, die sich der Familienausschuss auf der Grundlage einer Expertenanhörung erst erarbeiten wollte.
  • das nichts zu den im Sonderausschuss bekannt gewordenen Arbeitsbedingungen der örtlichen Jugendämter sagt? Gesetzte Regeln sind über Jahre mit Billigung der Vorgesetzten nicht eingehalten und von diesen auch nicht überprüft worden. Warum ist das so?
  • in dem mit keinem Wort auf die gesetzlichen Bedingungen eingegangen wird, die Voraussetzungen für das Handeln der örtlichen Jugendämter bilden? Das SGB VIII (2) bietet bis jetzt noch die entscheidende fachliche Grundlage für die Arbeit des Personals der Jugendämter. Sie muss als Ausgangspunkt für alles Handeln besonders betont werden.
  • das als Pilotverfahrensbeginn das Familieninterventions-Team (FIT) (3) als maßgeblich einsetzt? Von dessen Arbeitsweise war im Sonderausschuss bisher mit keinem Wort die Rede. Und über dessen Tätigkeit im Zusammenhang mit der handlungsleitenden Frage für den Sonderausschuss steht im zur Einsetzung führenden Antrag von SPD, CDU, GRÜNEN und FDP auch explizit nichts. Das FIT arbeitet übrigens mit Fallzahlbegrenzungen von 25 Hilfen zur Erziehung pro Vollzeitäquivalent, die als Standard im ASD (4) erheblich druckmildernd wirken würden!
  • das zu den erwünschten neuen Standards nichts sagt, die zumindest für das Pflegekinderwesen in den sieben Bezirksämtern vereinheitlicht werden sollten? Im FIT ist die Arbeit mit Pflegekindern z.B. ein extremer Sonderfall, wenn er denn überhaupt auftreten sollte. Das FIT arbeitet ausdrücklich nicht sozialräumlich verankert!
  • das an keiner Stelle von sozialer Arbeit spricht, dafür laufend mit betriebswirtschaftlichen Begrifflichkeiten hantiert, als strebe man einen
    Konzeptionswechsel von sozialer Arbeit zu einem Verwaltungsmanagement an? Ein Verwaltungsmanagement ist in keinem Fall anzustreben, deshalb muss die Fachlichkeit der Sozialen Arbeit als Grundlage für notwendige Veränderungen dienen.
  • das die Kosten von mehr Kontrolle nicht quantifiziert und weitere Regelungsmechanismen als Qualität ausgibt und von der Hebung von
    Synergieeffekten spricht, ohne diese zu belegen?
  • das nichts zu konzeptionellen Bedingungen sagt, die das jetzige gewünschte integrative Arbeiten im Zusammenrücken von Schule und Jugendarbeit/-hilfe in seinen notwendigerweise neuen Kooperationsformen benötigt?

DIE LINKE legt Wert darauf festzustellen, dass der Senat vor dem letzten Termin am 15. Januar 2013 sein Vorgehen mit dem Sonderausschuss laut einem Artikel des Hamburger Abendblatts vom 14. Januar als erfolgreich gelobt hat. Jetzt versucht er den Sonderausschuss weiter für seine Zwecke zu beanspruchen, ohne dass es dem Sonderausschuss aus sich heraus möglich wird, Bewertungen zum dort bisher bekannt Gewordenen vorzunehmen.

Die Auswertung des Sonderausschuss zu seiner bisherigen Arbeit wäre eine sinnvolle Grundlage um politische Entscheidungen darüber zu treffen, was konzeptionell verändert werden muss, um in der Arbeit der örtlichen Jugendämter Verbesserungen zu erzielen. In der bisherigen Diskussion war das FIT bisher gänzlich ausgeklammert. Zur Schaffung einheitlicher Standards vor Ort würde das FIT jetzt besser und sogar sozialräumlich eingebunden arbeiten, wenn es mit seinen Arbeitsanteilen des ASD in die örtliche Arbeit der sieben bezirklichen Jugendämter reintegriert würde. So könnte die örtliche Arbeit vermutlich auch entlastet werden!

DIE LINKE hält eine starke Einbeziehung von Leitung vor dem Hintergrund der Kritiken in den Berichten der Innenrevision für richtig. Wir legen aber Wert darauf festzustellen, dass dann auch die Zweigliedrigkeit der gegenwärtigen Organisation

  • Oben: Fachbehörde (als dauernder verlängerter Arm der Politik) und jederzeit mit unterschiedlichsten Erwartungen für die örtliche Praxis unterwegs
  • Unten: Bezirkliche Jugendämter mit unterschiedlichsten Standards wegen der dortigen Verantwortung für die Gestaltung der personellen Ressourcen entlang der örtlichen Gegebenheiten. Hier ist das Großraumbüro in Bergedorf als besonders problematisches Beispiel schon von der Uni Koblenz kritisch beschrieben worden, ohne dass der Sonderausschuss dies bewertet und Konsequenzen daraus gezogen hätte

besonders in den Blick genommen werden muss. Auch dies ist in dem jetzt vorgelegten Papier zum „Qualitätsmanagement“ nicht geschehen. Wenn man sparsamer arbeiten möchte, sollte dies aber auch erwogen und nachvollziehbar dargestellt werden.

Das jetzt vorgelegte Papier zum „Qualitätsmanagement“ strotzt von Begriffen, die dem fachlichen Anspruch an Kinder- und Jugendhilfe bisher fremd sind. Das vorgelegte Papier zum „Qualitätsmanagement“ (eigentlich eine Stichwortsammlung) argumentiert mit im Kern weiter fachfremden ökonomischen und betriebswirtschaftlichen Begriffen, ohne dass konzeptionellen Gedanken zum Gebilde der Kinder- und Jugendhilfe umfassend aufgenommen werden. Dies obwohl die Intention des Papiers das ganze Gebilde beeinflusst.

Das Papier zerstreut damit an keiner Stelle Befürchtungen von willkürlicher egelungswut durch die Fachbehörde. Jene wäre aber gerade jetzt gehalten, Übergänge neu zu definieren und Mitwirkung aller Arbeitsfelder zur besseren Kooperation zu organisieren. Soziale Hilfen und Angebote (SHA) und Ganztägige Bildung und Betreuung an Schulen (GBS) sollen sich aufeinander zu bewegen. Sollte aber in den vorgelegten Überlegungen wieder mehr Kontrolle und Hierarchisierung einen Ausdruck finden, ist es nötig darauf hinzuweisen, dass auch diese Maßnahmen Geld kosten. Kontrolle und Qualitätsmanagement sind eben gerade nicht kostenlos zu haben.

Die optimistische Rede von Bürgermeister Scholz vor dem Übersee-Club, die „auf Wohlstand, genauso wie auf ein besseres Leben für alle Hamburger“ zielt, braucht in den hier vorgelegten Überlegungen deshalb einen mindestens ebenso starken Ausdruck. Die hilfesuchenden BürgerInnen und die bedingungslos auf Hilfe Angewiesenen müssen in einer angestrebten besseren Qualität eine wahrnehmbare Größe darstellen. Das Armuts-Reichtums-Gefälle und seine Bedeutung für die Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe muss berücksichtigt werden. Auch dies wird nicht benannt. So wirkt diese Vorlage äußerst dilettantisch. Der Senat sollte sie zurückziehen!

DIE LINKE wird dafür plädieren, dieses Thema in besserer Vorbereitung im Familienausschuss neu aufzurufen. Die damalige Anhörung von Experten am 31. Januar 2012 im Kinder-, Familien- und Jugendausschuss (5) ist noch nicht vergessen. Im Familienausschuss wäre dieses Thema richtiger zugeordnet. Dort könnte auch über eine Behörde beraten werden, in der Kinderschutz als integrativer Bestandteil aller Arbeitsbereiche gesehen wird.

Der Sonderausschuss sollte sich jetzt ausdrücklich nicht als Enquetekommission verstehen. Die Bilderkollage auf dem Deckblatt zum Senatsentwurf zeigt Bilder aus den sozialen Brennpunkten der Stadt und darüber montiert eine funktionierende Familie. Genau diesen Zusammenhang kann das vorgelegte Papier „Qualitätsmanagement“ aber nicht herstellen.

Der Sonderausschuss sollte die Aufgabenstellung seines selbst gewählten Auftrags im Auge behalten und sie mit eigenen Fragen zur Bereicherung der Bürgerschaft zu Ende bringen. In diesem Sinne sehen wir auch nicht, dass die Einbringung und Diskussion eines „Qualitätsmanagements“ durch den Antrag 20/3870 auf Einsetzung eines Sonderausschusses abgedeckt ist.

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(1) Qualitätsmanagement in der Jugendhilfe (QMS 15.1.2013), vorgestellt von der BASFI.
(2) Das Sozialgesetzbuch VIII hat als wesentliche Handlungsgrundlage für die Kinder- und Jugendhilfe bundesweit Bedeutung.
(3) FIT (Familieninterventions-Team) wurde als achtes Jugendamt zur Kontrolle der örtlichen ASD eingesetzt und ist das damalige Eingeständnis der Politik, dass Kontrolle auch Geld kostet. Die damit eingeführte Geschlossene Unterbringung für Jungen ist wegen der immensen Kosten inzwischen in Hamburg wieder eingestellt worden.
(4) Der Allgemeine Soziale Dienst ist als Basisorganisation der sieben bezirklichen Jugendämter die erste Anlaufstelle für die Bevölkerung, wenn sie Fragen zur Unterstützung sucht. Deshalb ist der ASD auch in möglichst allen größeren Stadtteilen mit eigenen Räumlichkeiten vertreten.
(5) Am 31. Januar 212 wurde bald nach der Wahl des jetzigen (SPD-geführten) Senats eine Anhörung zum Thema „Hilfen zur Erziehung (HzE) – Weiterentwicklung und Steuerung“ im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss der Bürgerschaft durchgeführt, dessen Ergebnisse vor dem Hintergrund der Ereignisse um den Tod des Pflegekindes Chantal in Vergessenheit gerieten.