Auch ich war am 8.Juli zum „Ideenfest“ der Kulturbehörde in Sachen Olympiabewerbung über den Chefdramaturgen des Schauspielhauses eingeladen. Obwohl ich ein Kritiker der Bewerbung bin, bin ich hingegangen.
Ich will voranstellen, daß ich die Bedenken teile, die Christoph Twickel in seinem Brief an das Schauspielhaus vom 7.7. dazu entwickelt, welche Funktion Künstler und „Kulturschaffende“ in diesem Prozeß haben sollen (Hofnarren).
Als Bewohner St.Paulis bin ich außerdem überzeugt, daß Hamburg nicht noch einen Groß-Event braucht. Die wirtschaftlichen und städtepolitischen Argumente gegen eine Olympiade vor Ort will und kann ich hier nicht ausbreiten – erstens bin ich da kein Fachmann und zweitens finde ich sie in der Broschüre „NOlympia in Hamburg“ von Mehmet Yildiz und Özgür Yildiz überzeugend aufgelistet. (Hier zum Download)
Jedenfalls – Auf die Gefahr hin, als Künstler für eine Sache instrumentalisiert zu werden, die ich nicht unterstützen kann, habe ich doch teilgenommen, aus folgenden Überlegungen:
- Ich wollte sehen, ob und in welchem Maß und wie viele Leute aus den anwesenden Kulturszenen Hamburgs meine Bedenken teilen oder noch andere Schwerpunkte dabei setzen würden.
- Ich wollte einen Eindruck gewinnen, was mit einem Kulturprogramm zu Olympia überhaupt gemeint sein soll.
In dem Bewußtsein, daß ein Kulturprogramm für eine Olympiade wahrscheinlich sowieso nur marginal ist, und mit vollem Respekt vor der geballten Ladung Wirtschaftskraft des IOC und seinen Großveranstaltungen (für mich ein Panzer, der über die Stadt fahren würde – andere schlugen das Bild der Welle vor) waren meine persönlichen Fragestellungen an dieses Treffen:
– sollte diese Welle über Hamburg rollen, was würde dadurch besser für die Kultur in ihrer Breite, also in den Stadtteilen – oder sagen wir so: was wäre zu holen? Könnte man die Wiedereröffnung eingesparter Bücherhallen, die Eröffnung neuer Stadtteilkulturzentren o.ä., den Ausbau von Öffnungszeiten der Schwimmhallen usw. durchsetzen? Und das deutlich – und langfristig – und auch schon vorher, sozusagen, ab morgen?
– wie ernst ist also eine Verbesserung der kulturellen Ausstattung Hamburgs gemeint? Und zwar für alle Bewohner in allen Stadtteilen, nicht für Event-Touristen, nicht für bestimmte Zonen. Denn die Nachteile, das weiß man aus London und anderen Städten, also: Mietensteigerungen, Gentrifizierung ganzer Viertel, liegen ja auf der Hand.
– gibt es Chancen, diese Verbesserungen auf breiter Ebene, oder besser die Veränderung des Kurses, alle diese kleineren Einrichtungen kaputtzusparen oder auf andere Weise verschwinden zu lassen (Privatisierungen, Zusammenlegungen usw.) jetzt schon in Angriff zu nehmen und daran festzuhalten, auch wenn die Bewerbung scheitert? Hat man dann etwas gewonnen, wenn man an diesem Prozeß teilhat?
Andere Fragen stellen sich inhaltlich an eine Olympiade:
– Ein Olympischer Gedanke ist „Sport statt Krieg“ – heißt das, zum Zeitpunkt von Olympiade und Paralympics würden jede Waffenproduktion in Hamburg unterbunden, auch jeder Waffenexport (oder Import). Oder schon ab dem Zeitpunkt der Bewerbung? Und bis wann? Für immer?
Wie ernst wird die Olympische Idee in Hamburg genommen?
– Die Idee der Freundschaft der Völker, der Völkerverständigung – warum sind Leute aus anderen Ländern und Erdteilen in Hamburg nur als Spitzensportler, aber nicht als Flüchtlinge willkommen?
– Der Wettbewerbsgedanke, die Infragestellung des Treppchen-Denkens überhaupt.
– Sport und Geld – natürlich ein ganz weites Feld. Man sollte hier Olympische Spiele ohne jedes Sponsoren-Logo – ohne jedes Merchandising – organisieren – im Sinne der olympischen Idee: Dabeisein ist alles.
– Doping – die Problematik der Selbstoptimierung in den Leistungsgesellschaften.
– usw. usw. Das sind nur einige Punkte, und am Kritiker-Katzentisch wurden an diesem Nachmittag viele interessante Vorschläge dazu entwickelt.
Auch im Schlußplenum konnte ich ein paar Positionen davon darstellen. Der Gedanke dahinter ist wohl klar geworden: Gibt es eine Möglichkeit, so eine Groß-Veranstaltung, sollte diese Welle anrollen, an ihren eigenen Inhalten zu messen, den Spieß umzudrehen und als Vehikel für andere Positionen zu nutzen, die dem großen Geschäft zuwiderlaufen?
Das mag naiv, utopisch, weltfremd o.ä. erscheinen, in bester Hofnarren-Tradition, aber in meinem Verständnis ist das durchaus Aufgabe von Kunst und Kultur, diesen Fragen nachzugehen.
Die Rede der Kultursenatorin zu Beginn, in der sie „so viele olympiabegeisterte Leute“ willkommen hieß, habe auch ich als unangemessen empfunden. Insofern war Schorsch Kameruns Intervention kurz danach sehr berechtigt und hilfreich und dankenswert.
Meine persönliche Bilanz nach der Veranstaltung: Ich war überrascht, wie viel andere Beteiligte ähnliche Bedenken und Kritik hatten und haben.
Meine ablehnende Haltung zu Olympischen Spielen in Hamburg hat sich nicht geändert.
Michael Weber, 20-7-2015