Backpfeife für Senator Scheele: Sachverständige kritisieren Umgang mit Akten

von Peter Meyer, Ronald Prieß und Mehmet Yildiz

S. Hofschläger /pixelio.de

Die Sitzung des Sonderausschusses „Chantal“ 29. Oktober brachte im Ergebnis ein weiteres Mal eine „Backpfeife“ für den Senator Scheele. Dieses Mal, weil die Schwärzungen in den zur Verfügung gestellten Unterlagen aus Sicht der geladenen Experten das Lernen aus Fehlern nicht möglich macht, da die notwendige Transparenz so nicht gewährleistet ist.

Es waren sechs Sachverständige zum TOP „Neuausrichtung Pflegekinderwesen“ geladen: Elisabeth Helmig vom Deutschen Jugendinstitut München, Birgit Nabert, Vorsitzende des Landesverbands für Kinder in Adoptiv- und Pflegefamilien Schleswig-Holstein, Georg Ehrmann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe e.V., Prof. Dr. Ludwig Salgo von der Goethe Universität Frankfurt (Fachbereich Rechtswissenschaft, Projektanalyse Fremdunterbringung), Dr. Christian Erzberger von der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung e.V. und Prof. Dr. Klaus Wolf von der Universität Siegen. Sie alle waren gebeten worden, einen Blick von außen auf die Hamburger Situation zu werfen. Zur Beantwortung eines Fragenkatalogs waren Unterlagen über die bisher zur Kenntnis gelangten Umstände aus den sieben Hamburger bezirklichen Jugendämtern zur Verfügung gestellt worden.

Alle eingeladenen Sachverständigen, insbesondere aber die eingeladenen Wissenschafter sahen in den zur Verfügung gestellten Unterlagen und den darin vorgenommenen Schwärzungen (vorgeblich wegen des Datenschutzes) grundlegende Hindernisse für die Beantwortung der Fragen des Ausschusses. Sie bemängelten, dass anders als in Bremen nach dem Tod des Kindes Kevin in Hamburg der Versuch unternommen würde, unter nicht transparenten Bedingungen Fehler in der Jugendhilfe aufzuarbeiten. Dazu ein Auszug aus der schriftlichen Antwort von Prof. Salgo: „Es entsteht der Eindruck, dass aus Gründen politischer Opportunität und nicht aus datenschutzrechtlichen Gründen nur diese geschwärzte Fassung der Öffentlichkeit – ja selbst dem Jugendhilfe-Ausschuss des betroffenen bezirklichen Jugendamtes, aber auch den geladenen Experten zugänglich gemacht wurde.“ Dem Senat und der Bürgerschaft müsste daran gelegen sein, „dass ein solcher Eindruck erst gar nicht entsteht“. „Aus Fehlern lernen“ – das Motto der durchaus Erfolge aufweisenden Kinderschutzdebatte der vergangenen Jahre – heißt aus Sicht von Prof. Salgo auch, dass „offen über Fehler und Mängel gesprochen werden muss, was wiederum voraussetzt, dass auch bekannt gewordene Fehler und Fehlentwicklungen schonungslos offengelegt werden“.

Die von diesem Experten vorgetragene Kritik bestimmte das Klima der gesamten Sitzung. Alle Sachverständigen gingen davon aus, dass in Hamburg ausreichend Regeln bestehen, aber vor dem Hintergrund mangelhafter Anwendung dieser Regeln Fehler passieren würden. Eine Sachverständige nahm die selbsterfahrene Praxis zur Grundlage einer Anklage dafür, dass bestehende Regeln nicht eingehalten würden und Vorgesetze nicht sachgerecht einbezogen werden könnten. Der Träger „Pfiff“ wurde von allen Sachverständigen in diesem Zusammenhang für seine Arbeit bei der Pflegeeltern-Beratung und -Schulung allgemein gelobt.

Die wissenschaftlichen Sachverständigen unterbreiteten je nach rechtlicher oder soziologischer Sicht konzeptionelle Vorstellungen, die sie allerdings für die Umsetzung in die Praxis davon abhängig machten, welches politische Klima herrsche und welche inhaltlich fachlichen Ressourcen zur besseren Organisation zur Verfügung gestellt würden. Alle Wissenschaftler lehnten den in der jetzt (vorübergehend) gültigen Fachanweisung verfolgten stärkeren Kontrollzwang ab und kritisierten die damit einhergehende Intention als kontraproduktiv. Die Mehrheit der Sachverständigen hielt es für notwendig, bei möglichen Veränderungen in der Organisation in der Zukunft eine Vertrauenskultur als Grundlage für kooperatives Arbeiten im Pflegekinderwesen zu stärken und auszubauen.

Folgende Schlussfolgerungen ergeben sich aus Sicht der Fraktion DIE LINKE:

  • Die sich bisher missachtet und kritisiert fühlenden Pflegeeltern konnten auf Misstände zusätzlich aufmerksam machen und durften sich mit der gesamten Sitzung, bei der die Einzigartigkeit der Arbeit der Pflegefamilien noch mal besonders herausgestellt wurde, in der erforderlichen Art und Weise gewürdigt erleben.
  • Fünf der sechs angehörten Experten/-innen sahen vor dem Hintergrund der aktuell geltenden Fachanweisung Veränderungsbedarf, der den Aufbau einer „Vertrauenskultur“ notwendig macht.
  • Drogentests wurden von der Mehrheit der Sachverständigen abgelehnt.
  • Die (auch von „Pfiff“) geforderten einheitlichen Standards im Pflegekinderwesen wurden insbesondere auch vom Sachverständigen Prof. Wolf als eine gute Möglichkeit beschrieben, in der bei bestehender Vertrauenskultur in individuell begründeten Arbeitszusammenhängen auch einen Drogentest sinnvoll sein kann. Prof. Wolf wollte seine Aussagen aber bewußt von vielen Faktoren abhängig machen. Er legte Wert darauf, nicht beurteilen zu können, wie weit diese Faktoren in der Hamburger Kinder- und Jugendhilfe vorhanden seien.

Es kann nicht überraschen, dass auch die Presse die scharfe Kritik am Aufarbeiten von Fehlern nach der Sonderausschuss-Sitzung in der Jugendhilfe in Hamburg wieder in Zusammenhang bringt mit der Nichteinhaltung von bestehenden Regeln und dieses Mal auch die Intransparenz kritisiert, die durch die politisch Verantwortlichen zu vertreten ist.

Für DIE LINKE zeigte sich ein weiteres Mal, dass die von uns vorgeschlagene Enquete-Kommision schneller zu der Transparenz gekommen wäre, die in dieser Sitzung allgemein gefordert wurde. Die Unterstützung des besonderen Status‘ der Pflegeeltern und die Frage nach der Umsetzung  vorhandener Regeln würden vermutlich nachhaltiger und schneller zur Frage geführt haben, woran es liegt, dass diese, wie im Innenrevisionsbericht II festgestellt, zu häufig nicht beachtet werden.

Ein beruhigender Erfolg der letzten Sonderausschuss-Sitzung ist, dass die bemängelte Intransparenz jetzt für den Jugendhilfeausschuss Mitte – zur dortigen Aufarbeitung der Ereignisse – weitgehend  aufgegeben wurde. Dort wurde den Ausschuss-Mitgliedern nun eine nur noch geringfügig geschwärzte Version des Innenrevisionsberichts I für die Arbeit zur Verfügung gestellt.

Es bleibt die Forderung nach einer Bewertung des bisher Gehörten im Ausschuss – und das schon seit seiner Einsetzung! Die sollte nun baldmöglichst anstehen, der Blick auf das Pflegekinderwesen ermöglicht nach wie vor nur eine begrenzte Sicht. Das Pflegekinderwesen herauszuheben bleibt aber wegen der Einzigartigkeit dieser unverzichtbaren zivilrechtlichen Beteiligung und des damit verbundenen Engagements ein wichtiger Baustein für eine bessere Kinder- und Jugendhilfe.