Scheeles Entwurf für eine Jugendhilfeinspektion – Ein Ausdruck von Misstrauenskultur

S.Hofschlaeger / pixelio.de

Die Jugendhilfeinspektionist neben der neuen Fachanweisung für das Pflegekinderwesen eine weitere Maßnahme, die der Senat nach dem Tod des Pflegekindes Chantal als Sofortmaßnahme angekündigt hat und regeln will. Mit der Einsetzung des Sonderausschuss Chantal war dann das Versprechen verbunden, das weitere Vorgehen gemeinsam zu beraten und zu vereinbaren. Davon ist nicht viel geblieben. Während der Sonderausschuss noch nicht einmal eine Auswertung der vorliegenden Ergebnisse der diversen Expertenanhörungen und Fakten vornahm, hat der Senator schon den Entwurf zur Jugendhilfeinspektion (JHI) vorgelegt. Weder der Entwurf zu einer Fachanweisung zum Pflegekinderdienst noch der Entwurf zur JHI halten einer fachlichen Überprüfung stand.

Das Motiv des Senates für sein vorschnelles Vorgehen ist nachzuvollziehen. Er will mit diesem Vorgehen Punkte in der (ver-)öffentlichen Meinung sammeln, denn die Untersuchungen zur Klärung, wie es zu dem die Öffentlichkeit schockierenden Tod des Pflegekindes Chantal kommen konnte, werden vor dem Hintergrund weiterer Einzelfälle und den damit verbundenen Fragen geführt. Dabei spielen die CDU und die Grünen keine besonders produktive Rolle. Indem sie die neuen Fälle skandalisieren und gleichzeitig monieren, dass der Senat einfach ohne Absprache vorgeht. Sie manövrieren sich auf lange Sicht selbst ins Abseits der fachlichen Diskussion, wie solche Fälle in Zukunft zu vermeiden sind. Für die Fraktion DIE LINKE zeigt sich ein weiteres Mal, dass eine fachliche Aufarbeitung innerhalb eines Sonderausschusses schwierig ist, da dieser immer wieder Gefahr läuft, parteipolitischem Kalkül untergeordnet zu werden. Die jetzt auftretenden „Skandale“ in der Jugendhilfe werden kaum noch fachlich wahrgenommen und gefährliche Kurzsichtigkeit und Populismus machen sich breit. Die Fraktion DIE LINKE wird sich daran nicht beteiligen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Warum wird im Falle von Jeremie nicht nach der fachlichen Effizienz dieses Angebots gefragt, warum wird dieses Angebot überhaupt in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gerückt und nicht die eigentliche Frage, wie eigentlich das Verhältnis zwischen Herkunftsfamilie und der Einrichtung organisiert und mit welchen fachlichen Mitteln es ausgestattet ist.[1] Die die politisch handelnden Akteure sollten innehalten und überlegen, warum es trotz ständigem Ausbau der Kontroll- und Dokumentationspflichten immer wieder zu neuen Todesfällen von Kindern in Hamburg kommt.[2]

Zur Kritik des vorgelegten Entwurfs

Das bisher bekannt gewordene Papier mit dem die Jugendhilfeinspektion vorgestellt und begründet wird, muss vor dem Hintergrund der bisher geführten Diskussionen im Sonderausschuss und Familienausschuss und der damit verbundenen Fachdebatte bewertet werden. Die bisherige Debatte hat nach unserer Auffassung ergeben, dass es in der Realität der Bezirke keine einheitlichen Fachstandards gibt. Dies wurde in der Expertenanhörung vom 29. Oktober 2012 von fünf der sechs eingeladenen Experten gerügt und einheitliche Standards über alle Bezirke hinweg angemahnt[3]. Hier wird aus unserer Sicht der zweite Schritt vor dem Ersten gemacht. Warum hat diese Expertenanhörung überhaupt stattgefunden, wenn die Aussagen dort weder ausgewertet werden, noch Eingang in nachfolgende Entwürfe der Behörde finden? Aus unserer Sicht ist es völlig widersinnig, wenn in einem Bezirk Vorgehensweisen einzelner Abteilungen des ASD gerügt werden, die in anderen Bezirken erlaubt oder erwünscht sind. Die Grundlage für eine Jugendhilfeinspektion, die diesen Namen verdient, wäre ein gemeinsames Fach- und Aufgabenverständnis. Aus unserer Sicht wäre es vor diesem Hintergrund sinnvoll über ein einheitliches Jugendamt nachzudenken, wie es z.B. der frühere SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und Jugendpolitiker Böwer im März 2011 dem jetzigen Bürgermeister empfohlen hatte. Ein einheitliches Jugendamt mit einem gemeinsamen Fach- und Aufgabenverständnis würde aus Sicht der Fraktion DIE LINKE aber eine gute Grundlage für „identifiziertes Arbeiten in der Jugendhilfe“ möglich machen, weil dann oben weiß, was unten eigentlich los ist.

Wer noch bei der Sonderausschusssitzung vom 29.10.2012 hoffte, dass die Mahnung Experten Wirkung zeigen würde, die Sozialbehörde möge doch dafür sorgen, dass für die Arbeit in den bezirklichen Jugendämtern eine Vertrauenskultur wieder belebt werde, sieht sich jetzt besonders enttäuscht. Es wird nicht der Kritik der ExpertInnen (aber auch nicht der der Innenrevision) nachgegangen, warum die bisherigen Instrumente der Kontrolle versagt haben und warum die Leitungen der ASD-Abteilungen ihre Dienstaufsicht nicht in dem notwendigen Maße wahrgenommen haben. Stattdessen wird eine neue weitere Institution mit 3 Sonderkontrolleuren(einer sollte – nicht müsste – sogar Jugendhilferecht kennen) angekündigt, die dauerhaft das Einhalten von Regeln überprüfen sollen. Einerseits wird die Jugendhilfeinspektion als ein Instrument der Leitungskräfte dargestellt, es wird aber nicht erklärt, warum die Leitungskräfte der Jugendämter in den Bezirksämtern bestehende Regeln im praktischen Alltag ihrer Dienststellen regelmäßig vernachlässigt haben. Aus unserer Sicht wird der Kritik an der Überlastung in den Dienststellen, den ständigen Veränderungen in den Abläufen und der ständigen Ausweitung von Kontrolle und Dokumentation nicht nachgegangen. Es bleibt auch unklar und unerwähnt, warum im Jugendamt mehr Hierarchien existieren müssen als in allen übrigen Ämtern?

In dem jetzt vorgestellten Papier zur Jugendhilfeinspektion ist wenig die Rede davon, dass Gesetze beachtet werden müssen. Der „Geist“ des schützenswerten SGB VIII (hier ist die Rede von Leistungsansprüchen der Bevölkerung und Unterstützungsleistungen der Jugendämter für Ratsuchende) wird überhaupt nicht erwähnt.

In der Begründung für die Jugendhilfeinspektion wird auch eine weitere Funktion von JUS-IT deutlich. Im Abschnitt 3 zu den Prüfungsgegenständen wird formuliert: „Über JUS-IT lassen sich die Prozessabläufe erschließen und insbesondere feststellen, wie aus der Gesamtzahl der in einer bestimmtem zeitlichen Periode einfließenden Kindeswohlgefährdungs- (KWG) Meldungen über ein sach- und fachgerechtes Eingangsmanagement in die Fallbearbeitung übergeht.“ Mehr an Kontrolle geht einfach nicht. Warum so viel davon? Sollen die zu wenigen Sozialarbeiter im ASD die Kosten für die teure PC-Software ersparen helfen?

Oder will die Sozialbehörde einem, in diesem Zusammenhang nicht betonten Ziel, näher kommen, nämlich die Anzahl der verfügten Hilfen zur Erziehung möglichst kontinuierlich auch auf diesem Weg zu senken? Schließlich ist das gescheiterte A-Länder-Papier[4] ja auch eine, wenn auch revidierte Idee aus Hamburg. Und die Riesenanstrengung alles auf einmal zu verändern und so  Schule und Jugendhilfe z.B. „Mehr und Besseres“ leisten zu lassen, unterstützen vom Grundsatz her doch alle!

Arbeiten mit Freude in überschaubaren Zusammenhängen und Räume, Qualität, die auch die Bedürfnisse der Bevölkerung wahrnimmt, Kooperation unter den unterschiedlichsten Arbeitsansätzen vor Ort. Wie geht das mit einem solchen Maß an Kontrolle? So muss die Bevölkerung die JJugendämter als feindliche Institutionen wahrnehmen. Dabei folgt die Politik einem generellen Trend zu Inspektionen. Nach einer Kita-Inspektion oder einer Schulinspektion folgt jetzt die Jugendhilfeinspektion. Statt einheitliche Fachstandards in den Bereichen Bildung und Jugendhilfe zu schaffen und diese zu finanzieren, werden Kontrollapparate aufgebaut. Diese Form der Kontrolle soll auch da die Handlungsfähigkeit von behördlichem Handeln sicherstellen, wo durch Privatisierung oder die Ökonomisierung von sozialer Arbeit die fachlichen Standards ausgehöhlt und die Akzeptanz dieser Institutionen Schaden nimmt. Das müsste dringend im Familienausschuss untersucht werden. Die Fraktion DIE LINKE hat dazu schon vor längerer Zeit eine Expertenanhörung vorgeschlagen und erneuert die Forderung auf diesem Wege.

Die LINKE kann der Jugendhilfeinspektion vor diesem Hintergrund mangels Transparenz und Fachlichkeit nicht zustimmen und hält diese für das Armutszeugnis einer Fachbehörde, die nicht weiß, was Soziale Arbeit in den Bezirken ausmacht. Denn die Zusammenarbeit zwischen dem ASD und den ihn umgebenden Spezialdienststellen, die überwiegend Fallzahlobergrenzen haben (am besten sind die vom FIT mit 25 HzE pro SozialarbeiterIn) kann unter diesen Umständen nicht besser werden. Hier wird der Versuch unternommen den überlasteten Sozialarbeiters im ASD die Verantwortung für die Probleme in den Jugendämtern in die Schuhe zu schieben. Die dauerhafte Beschäftigung mit speziellen Themen der Kontrolle lenkt von einer grundsätzlichen Beschäftigung mit der Arbeit der bezirklichen Jugendämter ab. Die Verbesserung der Kooperation der verschiedenen Schnittstellen sollte das wichtigere Ziel politischer Beschäftigung mit dem Thema sein.

Dieses Ziel ist aus Sicht der Fraktion DIE LINKE nur bei Analyse der Arbeitsbedingungen in allen Arbeitsfeldern der Jugendhilfe unter Einbeziehung der Beschäftigten sowie der Wahrnehmung der sozialen Problemlagen in den Stadtteilen zu erreichen. Die LINKE sieht sich mit dem Vorgehen des Senats bei der Vorlage zur Einrichtung der Jugendhilfeinspektion in Ihrer Befürchtung wieder bestätigt. Der Sonderausschuss kann die Tendenz des Abgleitens in kurzsichtigen Aktionismus nicht begegnen und ist in der Gefahr, sogar noch mögliche Verschlechterungen in den bezirklichen Jugendämtern für hinnehmbar zu halten. Senator Scheele wird als Schnellschusssenator in die Geschichte eingehen. Eine fachliche Aufarbeitung in Form einer Enquete-Kommission bleibt eine Alternative aus unserer Sicht. Der Sinn des Sonderausschuss wird durch das konkrete Verhalten der maßgeblichen Politikgestalter immer mehr in Frage gestellt, insbesondere wenn man die Vorgehensweise bei den immer wieder auftauchenden „besonderen“ Einzelfällen betrachtet.

Mehmet Yildiz, Peter Meyer und Ronald Prieß

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<[1] Eine Presseinformation des Neukirchener Erziehungsverein mahnt in einer Stellungnahme zum Fall Jeremie zu einer Fachdebatte zurückzukehren. Auch Gabi Brasch fordert dies für die Diakonie Hamburg in einer Pressemitteilung vom 3. Dezember 2012

[2] 2004 starb Michelle in Lohbrügge, 2005 Jessica in Jenfeld, 2009 Lara Mia iund 2012 Chantal beide in Wilhelmsburg. Jedes Mal wurden die Kontroll- und Dokumentationspflichten erweitert. Die Probleme in der Kinder- und Jugendhilfe exisiter(t)en weiter.

[3] siehe Wortprotokoll der Expertenanhörung

[4] siehe A-Länder Papier: Koordinierungssitzung der Staatsräte der Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg vom 13. Mai 2011 und das Referat von Staatsrat Jan Pörksen auf dem 14. Kinder-und jugendhilfetag am 8. Juni 2011 in Stuttgart. Titel: Eine bessere Kinder- und Jugendhilfe ist die preiswertere. Später wird das von Staatsrat Pörksen modifiziert. Dazu siehe den Beitrag „Weiterentwicklung und Steuerung der Hilfen zur Erziehung – was wir wirklich wollen.“ Hier verbirgt sich die Positionierung hinter der Formulierung „Vorrang der Regelsysteme und der Diskussion um die Sozialen Hilfen und Angebote als Bremse für den Kostenanstieg bei den Hilfen zur Erziehung“